Die Personalabteilung ist in vielen Unternehmen die treibende Kraft der digitalen Transformation. Sie rekrutiert Tech-Talente, implementiert neue Kollaborationstools, organisiert Schulungen für digitale Kompetenzen und begleitet den kulturellen Wandel. Doch während HR die Digitalisierung für alle anderen Abteilungen vorantreibt, herrscht in den eigenen Reihen oft ein erstaunlicher Stillstand. Manuelle Prozesse, Excel-Tabellen und Papierakten sind keine Seltenheit.
Dieses Phänomen ist mehr als nur eine Ironie des modernen Arbeitslebens. Es ist ein strategisches Risiko. Eine Personalabteilung, die mit analogen Werkzeugen arbeitet, kann ein digitales Unternehmen nur unzureichend unterstützen und verliert an strategischer Relevanz. Doch woran liegt es, dass ausgerechnet die Treiber der Transformation bei sich selbst auf der Bremse stehen? Die Gründe sind vielschichtig und gehen weit über fehlende Budgets hinaus.
Das Wichtigste in Kürze
- Die „Schuster-Leisten“-Falle: HR ist so sehr damit beschäftigt, die Digitalisierung für andere Abteilungen zu managen, dass die eigenen internen Prozesse auf der Prioritätenliste ganz nach unten rutschen.
- Kultur und Identitätsangst: Viele Personaler fürchten, dass durch Automatisierung und Datenanalyse der „menschliche Faktor“ – das Herzstück der Personalarbeit – verloren geht.
- Fehlende Tech-Kompetenz: Oft fehlt es in den HR-Teams an der notwendigen technischen Expertise, um eigene Digitalisierungsprojekte souverän zu planen, zu bewerten und umzusetzen.
Grund 1: Die „Schuster-Leisten“-Falle: HR als Dienstleister für andere
Das Sprichwort „Der Schuster hat die schlechtesten Leisten“ trifft auf kaum eine Abteilung so gut zu wie auf die Personalabteilung. HR versteht sich in erster Linie als interner Dienstleister. Der Fokus liegt darauf, die Bedürfnisse der anderen Fachbereiche zu erfüllen: Die Vertriebsabteilung braucht ein neues CRM-Schulungskonzept, das Marketing sucht dringend einen Data-Analysten und die Produktion benötigt einen digitalen Schichtplaner. Die HR-Abteilung agiert als Projektmanager und Change-Begleiter für die gesamte Organisation. Diese nach außen gerichtete Priorisierung führt zwangsläufig dazu, dass die Optimierung der eigenen, internen Prozesse chronisch vernachlässigt wird. Es bleibt schlicht keine Zeit, sich um das eigene Haus zu kümmern.
Grund 2: Kultureller Widerstand und die Angst vor dem „Entmenschlichen“
Die Identität der Personalarbeit ist tief im Zwischenmenschlichen verwurzelt. Empathie, Intuition und das persönliche Gespräch sind die traditionellen Werkzeuge eines jeden guten Personalers. Genau hier liegt einer der größten kulturellen Widerstände gegen die Digitalisierung. Es herrscht die tiefsitzende Sorge, dass datengestützte Entscheidungen und automatisierte Prozesse den Menschen aus dem Mittelpunkt verdrängen. Kann ein Algorithmus im Bewerber-Screening wirklich das Potenzial eines unkonventionellen Kandidaten erkennen? Ersetzt ein automatisiertes Feedback-Tool das nuancierte, persönliche Gespräch mit einer Führungskraft? Die Angst, dass Effizienz die Empathie verdrängt, führt zu einer unbewussten oder bewussten Abwehrhaltung gegenüber neuen Technologien.
Grund 3: Fehlende technische Kompetenz und Berührungsängste
Historisch gesehen ist die Personalarbeit keine primär technische Disziplin. Viele HR-Expertinnen und -Experten haben einen Hintergrund in den Geistes-, Sozial- oder Rechtswissenschaften. Ihnen fehlt oft die spezifische Kompetenz im IT-Projektmanagement, in der Software-Evaluation oder der Datenanalyse. Diese Lücke führt zu einer großen Unsicherheit. Welches Tool ist das richtige? Wie führt man es erfolgreich ein? Wie stellt man die Datenmigration sicher? Aus dieser Berührungsangst resultiert eine starke Abhängigkeit von der IT-Abteilung, die ihrerseits andere Prioritäten hat und die spezifischen Bedürfnisse von HR nicht immer versteht. So werden Projekte langsam, kompliziert und scheitern nicht selten.
Grund 4: Die „Tool-Flut“ und die fehlende strategische Vision
Der Markt für HR-Software ist riesig und unübersichtlich. Es gibt unzählige Insellösungen für jeden denkbaren Prozess: Recruiting, Onboarding, Zeitwirtschaft, Personalentwicklung, Lohnabrechnung und vieles mehr. Ohne eine klare, übergeordnete Digitalisierungsstrategie für die eigene Abteilung verfallen viele HR-Teams in einen reaktiven Aktionismus. Hier wird ein Recruiting-Tool eingeführt, dort eine neue Lösung für die Reisekostenabrechnung. Das Ergebnis ist ein unverbundener Flickenteppich aus Software-Anwendungen, die nicht miteinander kommunizieren. Daten müssen mühsam von einem System ins andere übertragen werden, was die Ineffizienz sogar noch erhöht. Es fehlt eine zentrale, integrierte Datenbasis – die „Single Source of Truth“ für alle mitarbeiterbezogenen Informationen.
Grund 5: Der Datenschutz als vorgeschobenes (und echtes) Hindernis
Personaldaten gehören zu den sensibelsten Informationen in einem Unternehmen. Die Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sind entsprechend streng und komplex. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen sind absolut notwendig und richtig, werden aber manchmal auch als willkommenes Argument genutzt, um Digitalisierungsprojekte auszubremsen. Die Sorge vor Datenschutzverstößen, insbesondere beim Einsatz von US-amerikanischen Cloud-Anbietern, und der hohe Aufwand für eine rechtssichere Implementierung führen zu einer Lähmung. Anstatt Lösungen zu suchen, verharrt man im Status quo, weil dieser als der sicherere Hafen erscheint.
Grund 6: Mangelnde Ressourcen und fehlender Rückhalt im Management
Letztlich ist die Digitalisierung auch eine Frage des Geldes und der Prioritäten. In vielen Unternehmen wird die Personalabteilung immer noch als reines Verwaltungs- und Kostencenter gesehen, nicht als strategischer Wertschöpfungspartner. Während das Budget für ein neues Vertriebs- oder Marketing-Tool oft schnell genehmigt wird, muss HR den Return on Investment (ROI) für ein neues Human-Resources-Information-System (HRIS) bis ins kleinste Detail nachweisen. Fehlt der uneingeschränkte Rückhalt der Geschäftsführung, der sich auch in einem angemessenen Budget widerspiegelt, sind interne Digitalisierungsprojekte von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Fazit
Die digitale Stagnation vieler Personalabteilungen ist ein komplexes Problem, das aus einer Mischung aus Überlastung, kulturellen Ängsten, Kompetenzlücken, strategischer Orientierungslosigkeit und mangelnden Ressourcen resultiert. Um diese Blockade zu lösen, muss HR sich selbst als ersten und wichtigsten Anwendungsfall für die digitale Transformation begreifen. Eine digitale Personalabteilung ist nicht das Gegenteil einer menschlichen, sondern ihre logische Weiterentwicklung: Sie nutzt Technologie, um administrative Lasten zu minimieren und so mehr Zeit für die wirklich wichtigen, menschlichen Aufgaben zu gewinnen – für Strategie, für Coaching, für die Kulturentwicklung. Die Transformation muss bei den Transformatoren selbst beginnen.
